Abstracts

Unter der Wasserlinie. Mit dem österreichischen Film auf Tauchstation
Thomas Ballhausen

Der österreichische Film inszeniert das Meer, abhängig von der Entstehungszeit und dem Kontext der jeweiligen Produktion auf sehr unterschiedliche Weisen. Die Konzeptionen des Submarinen und des Versinkens sind dabei fixe, wiederkehrende Elemente, die eine Vielzahl von Filmen kennzeichnen und das Genre bestimmen. Drei Ausrichtungslinien sind in der thematischen Verarbeitung des Unterseeischen dabei als dominant anzusehen: Die militärische, die künstlerische und die wissenschaftliche Reflexion geben etwas wie eine grobe, doch auch durchlässige und liquide Typologie vor. Anhand dieser drei Linien und entsprechender Beispiele werden die Entwicklungen und Kontexte des Unterseeischen im österreichischen Film vorgestellt und diskutiert.


Das Meer von Versailles

Tobias Nanz

Wenngleich Ludwig XIV. und sein Landschaftsgärtner André Le Nôtre nie  den Plan umsetzen konnten, den großen Kanal im Schlosspark von Versailles mit dem Atlantik zu  verbinden, so ist dennoch ein Meer von Versailles entstanden, das sich dreifach aufgeladen entgrenzte und dem König eine Passage zu den Weltmeeren und zu den Kolonien eröffnete.
Das Meer von Versailles war ein Ort der Imagination, der mit sagenhaften Erzählungen vollgesogen war und den mythischen Königskörper Ludwigs XIV. stützte. Es war ein Ort des außenpolitischen Machtanspruches, der sich in der Flottenpolitik Frankreichs manifestierte und durch die steigende Anzahl der Schiffe auf dem großen Kanal im Schlosspark ankündigte. Und es war ein Ort der innenpolitischen Bestätigung des  Königs, dessen Macht durch ein Zeremoniell verfestigt wurde, das in seiner Ganzheit das Schloss, den Park und schließlich den Kanal umfasste und damit dem König und seinem Volk den ersten Rang (André Félibien) unter den Völkern der Welt einräumte.


Meereslust bei Jules Verne
Roland Innerhofer

Die Wasserfahrzeuge bei Jules Verne sind stets Emblemes einer paradoxen Einheit von absoluter Bewegung und absoluter Stabilität. Mobilis in mobili ist das Motto des Kapitän Nemo, Stillstand in Form von Schiffbruch, Einfrieren, Erfrieren, Verhungern, Ersticken bilden für alle Verneschen Seefahrer die größte Bedrohung. Gerade die ungehinderte Bewegung ist die Voraussetzung für die Idylle, das Vollglück in der Beschränkung. Eingeschlossen in ihren Schiffen oder Unterseebooten haben die Reisenden „die größtmögliche Zahl von Objekten zur Verfügung“ (R. Barthes). Gerade auf und unter dem Meer werden Imperien – oder deren Parodien – errichtet, ihre Territorien mit den neuesten Instrumenten vermessen und durch das Netz der Koordinaten festgelegt, ihre Bewohner durch meeresbiologische Taxonomien klassifiziert, aber auch systematisch vernichtet. Die dynamische Raumwahrnehmung auf dem Meer mutiert in ein totalitäres Konzept der Raumbeherrschung, das in Vernes Romanen durch die Position des „gefangenen“ Beobachters und beobachtenden Gefangenen reflektiert wird. Mit Vorliebe werden die mobilen Ordnungen und maritimen Regimes zuletzt wortwörtlich gesprengt: Das U-Boot des ordnungsbesessenen Anarchisten Nemo wird durch einen Vulkanausbruch verschüttet, die Propeller-Insel der steuerflüchtigen Milliardäre durch eine Explosion der Dampfmaschinenkessel in Stücke gerissen.   


Am Meeresgrund vor Helgoland. Maritime Topologien des frühen Radios

Katja Rothe

Das Radio unterhält seit seinem Erscheinen Anfang der 20er Jahre eine Vorliebe für den Ozean. Bereits 1908 schrieb Adolf Slaby ein ganzes Buch über seine „glückliche[n] Stunden“, die er auf den „Entdeckungsfahrten in den elektrischen Ozean“ verbrachte, die frühen Hörspiele inszenieren zudem Funkkatastrophen auf See und die ersten Reportagen berichten vom Meeresboden vor Helgoland. Diese Neigung zum Maritimen gründet auf einer Überblendung zweier in Bezug auf die Stiftung fester Ordnungen im umhegtem Raum prekäre Raumkonzepte: des Meeres und des Äthers. Der Vortrag stellt das Radio als heterotopischen Ort im ätherischen Ozean vor, der zwischen Deterritorialisierung und Reterritorialisierung Zonen öffnet, die von Störungen, Unterbrechungen und Rauschen heimgesucht werden und in denen man sich experimentell in eine „Kultur der Gefahr“ (Foucault) einübt.

Fish & Chips. Mediale Durchmusterung von Schwärmen
Sebastian Vehlken

Die biologische Erforschung von Fischschwärmen ist recht jung. Erst Ende der 1920er Jahre tauchen erste Studien auf, die sich mit möglichen Zugängen zu Schwärmen als ›Wissensobjekte‹ auseinandersetzen. Diese Annäherungen geschehen unter Verwendung verschiedener Technologien und Experimentalsysteme, denen Schwärme immer wieder als explizit mediales Problem gegenübertreten: Zum einen als Frage des Erkennens, zum anderen als Frage der Darstellung eines »Halbdings« oder Nicht-Objekts, das sich einer Feststellung und Objektivierung immer wieder entzieht.
In einer Untersuchung von Verschiebungen epistemologischer Strategien »from measurement to models« in Bezug auf Fischschwärme wagt Medientheorie den Sprung hinab von McLuhans Surfbrett unter die Wasseroberfläche: Dorthin, wo Schwärme als glatte Räume den glatten Raum des Meeres verdoppeln. Die Intensitäten und Bewegungsvektoren dieses zweiten glatten Raumes jedoch werden erst durch die Kerbung und Durchmusterung des Meeresraumes operabel. Schwärme sind glatter Raum aus gekerbtem, sie entstehen als Wissensfigur genau an den Schnittflächen von Aquariumwänden, Filmstandbildern und Sonar-Reflexionen, die mediale Grenzen ins Meer einziehen. Diese Konstitution von Schwärmen als Wissensobjekt ist nicht zu denken ohne eine Informatisierung der Biologie, die mit einer gleichzeitigen Biologisierung der Informatik wechselwirkt, welche Schwärme schließlich selbst als Medien nutzbar macht.  


Twixt Land and Sea. Die Grenzfläche des Watts
Burkhardt Wolf

Küsten setzen eine natürliche Grenze zwischen Land und Meer. Wie es scheint, treffen an dieser Linie der territoriale Nomos und sein elementar Anderes, der gekerbte und der glatte Raum unmittelbar aufeinander. Dass es sich in Wirklichkeit um keine feste und diskrete Grenze und schon gar nicht um eine Linie handelt, zeigt sich am sinnfälligsten an einer ‚Grenzfläche’ wie dem Watt. Sei es durch zyklische Gezeitenkräfte, sei es durch menschliche Interventionen – das Wattenmeer ist eine Intensitätszone, innerhalb derer sich die Erde und die See, die territoriale und die Seeherrschaft, das nationale und das internationale Recht immer schon ineinander verschlungen haben. Nicht nur in ökologischer, rechtlicher und nautischer Hinsicht ist diese Schwellenregion ein Grenzfall. Wie an einigen Episoden der Seefahrtsgeschichte gezeigt werden soll, stellt sie in kultureller, sozialer und politischer Hinsicht eine Übergangszone par excellence dar. War die Küste bis zur Epoche von Luft- und Raumfahrt das vermittelnde Dritte zwischen Land und Meer, so spiegelte sich beider wechselhaftes Verhältnis gerade in diesem Zwischenraum.


(Des)Artikulationen des Meeres. Rückkopplungen zwischen Mathematik, Seekrieg und Kunst
Bernhard Siegert

Vor dem Hintergrund von Ferdinand de Saussures Definition des Zeichens als Artikulation, die mit der Grenzfläche zwischen Luft- und Meeresozean operiert, unternimmt es der Beitrag, Verschiebungen im Verhältnis von Figur und Grund in Darstellungen des Meeres zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert als Effekte von epistemologischen Brüchen im Bezugssystem von Kunst, Kartographie, Seekriegstaktik und Optik zu interpretieren.


Das Meer schreiben: Die Entstehung der Ozeanographie in Wissenschaft und Roman
Robert Stockhammer

"[D]as Meer ist der glatte Raum par excellence, und dennoch wird es am ehesten mit den Anforderungen einer immer strengeren Einkerbung konfrontiert." (Deleuze/Guattari) Ein neues entscheidendes Stadium erreichen die Verfahren der Einkerbung um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als vor allem durch Matthew Fontaine Maury neue Verfahren entwickelt und koordiniert werden, um buchstäblich (mit einer Formulierung Michel de Certeaus) "das Meer zu schreiben": von der Sammlung und Auswertung von Logbüchern über die Einberufung einer internationalen Konferenz bis hin zur Erstellung von Karten mit den verschiedensten Merkmalen des Meeres (Tiefe, Strömungen, Winde, bevorzugte Aufenthaltsorte von Walen...). Der Linienschiffarzt August Jilek macht hier "eine neue Aera der physischen Geographie des Meeres" aus, die er – als einer der ersten – im Titel eines in Wien erschienenen Buches "Oceanographie" nennt. An diesem Schreiben des Meeres partizipiert auch die Literatur mit ihren eigenen Mitteln, wenn Herman Melville (im 'Moby-Dick') zwar einerseits den Widerstand des Meeres gegen dessen Kerbung festhält – "The sea [...] will permit no records" –, sich andererseits aber ausdrücklich mit Maurys Bestrebungen auseinandersetzt.